Ilon Wikland hat der mutigen Ronja Räubertochter, der chaotischen Madita und den Brüdern Löwenherz ein Gesicht gegeben: Die Galerie Stihl Waiblingen zeigt nun Werke der schwedisch-estnischen Illustratorin. Warum sich der Besuch lohnt.
Am liebsten würde man einige Bilder von den kunterbunt gestrichenen Stellwänden nehmen, unter den Arm klemmen und nach Hause entführen. Einem Karlsson vom Dach gelänge der Kunstraub aus der Galerie Stihl Waiblingen womöglich, schließlich könnte der schöne, grundgescheite und gerade richtig dicke Mann in seinen besten Jahren dank seines Propellers einfach auf und davon fliegen.
Allen übrigen Besucherinnen und Besuchern bleibt der Genuss vor Ort: Die Galerie Stihl zeigt von diesem Samstag an mehr als 200 originale Feder-, Kreide- und Tuschezeichnungen sowie Aquarelle von Ilon Wikland. Der schwedisch-estnischen Illustratorin ist zu verdanken, dass Generationen von Lesefans genau wissen, wie die Heldinnen und Helden ihrer Kindheit aussehen. Sei es Lotta aus der Krachmacherstraße, sei es das Lausemädchen Madita, die Brüder Karl und Jonathan Löwenherz oder der schüchterne Lillebror, der sich einen Hund wünscht und stattdessen einen selbstbewussten Kumpel namens Karlsson bekommt, der eines schönen Tages einfach durchs Fenster in sein Kinderzimmer fliegt.
„Illustrationen in Büchern gelten häufig als Beiwerk, sie sind aber sehr wichtig, um den Geschichten ein Gesicht zu geben“, sagt die Galerieleiterin Anja Gerdemann. Dass sie und Susanne Schnelzer mit der Ausstellung „Ilon Wikland – Von Bullerbü bis Karlsson vom Dach“ einen Treffer gelandet haben, zeichnet sich bereits jetzt ab.
Die Resonanz schon im Vorfeld sei enorm, sagt Anja Gerdemann. Und Christine Lutz von der Kunstschule Unteres Remstal, die zu dieser Ausstellung ein umfangreiches Begleitprogramm für Kreative im Kindes- und Erwachsenenalter bietet, freut sich über zahlreiche Anmeldungen von Schulklassen, obwohl das Programm erst eben verschickt worden ist.
Das große Interesse an dieser Ausstellung hält der Waiblinger Oberbürgermeister Sebastian Wolf für wenig verwunderlich: „Die Bilder spielen bis heute eine Rolle. Auch meine Kinder haben noch diese Bücher, mit denen ich aufgewachsen bin.“ Die Bilder der Schau hängen etwas tiefer, sodass Kinder die Darstellungen besser sehen können. Zudem gibt es in der Galerie einen Pavillon, in dem man es sich auf Sitzkissen gemütlich machen und in Büchern schmökern kann.
Die Illustrationen von Ilon Wikland haben gleich mehrere Generationen geprägt. Wer zwischen fünf und 65 Jahre alt ist, dem sind sie vertraut. Die frühesten Zeichnungen in der Schau sind knapp 70 Jahre alt – und wirken kein bisschen angestaubt oder altmodisch. Mit dem Buch „Mio, mein Mio“ habe Anfang der 1950er-Jahre die Zusammenarbeit mit der Autorin Astrid Lindgren begonnen, erzählt Fredrika Wikland, eine der vier Töchter von Ilon Wikland. Sie wird mit zwei ihrer Schwestern bei der Vernissage am Freitag anwesend sein und die 93-jährige Mutter, die in Stockholm lebt, vertreten.
Hierzulande weniger bekannt, da teils vergriffen, teils nie ins Deutsche übertragen, sind die eigenen Werke, die Ilon Wikland verfasst und bebildert hat. Zum Beispiel das Buch „Mein unglaublicher erster Schultag“, dessen Entstehungsprozess die Ausstellung anhand von Vorzeichnungen und herrlich bunten Endversionen zeigt. Das sei ihr Lieblingsbuch, sagt Fredrika Wikland: „Es zeigt meine Mutter von ihrer spielerischen und politisch inkorrekten Seite.“
Es hat einigen Wahrheitsgehalt: Wie die Heldin im Buch kam Ilon Wikland am ersten Schultag prompt zu spät, investierte das Geld fürs Mittagessen in Süßigkeiten aller Art und fand beim Spiel mit ihrer Freundin ein Glas mit in Alkohol eingelegten Beeren, nach deren Verzehr die beiden erst wild und dann sehr müde wurden. Die Strafe folgt im Buch prompt. Und wie im echten Leben erledigt die Heldin den Abwasch, in dem sie ihren Hund die Teller sauber lecken lässt und sie dann zurück in den Schrank stellt.
Als Inspiration für ihre Bilder diente Ilon Wikland stets das wahre Leben. Ihre Töchter hat sie da ebenso verewigt wie den Ex-Schwiegersohn, der die Vorlage für den Räuberhauptmann Mattis abgab. Und als Anregung dafür, wie das Chaos in Karlssons Häuschen aussehen könnte, musste sie nur einen Blick in eines der Kinderzimmer werfen. Im Buch „Die lange, lange Reise“ wiederum hat Wikland ihre Flucht aus Estland im Jahr 1944 vor den sowjetischen Angriffen verarbeitet. Eine traumatische Erfahrung, mit der die schöne Kindheit bei den Großeltern endete.
Auch Ilon Wiklands letzte Arbeit ist in Waiblingen zu sehen: Es sind Illustrationen zu „Peter und der Wolf“. Die in Grüntönen gehaltenen Bilder sind im Jahr 2014 entstanden, zur Zeit der Annexion der Krim. Die drei Räuber tragen die Gesichtszüge von Putin, Stalin und Chruschtschow.
Vernissage Die Ausstellung wird am Freitag, 17. März, von 19 Uhr an in der Kunstschule, Weingärtner Vorstadt 14, eröffnet. Mit dabei sind Ilon Wiklands Töchter Fredrika, Anna und Helene. Die rund 200 Werke sind bis 11. Juni in der Galerie Stihl zu sehen, man kann in Büchern schmökern und über MP3-Player einzelne Kapitel aus den Geschichten hören.
Informationsabend Am Donnerstag, 23. März, gibt es einen kostenlosen Infoabend für pädagogische Kräfte zu allen Angeboten der Kunstvermittlung. Er beginnt um 18 Uhr, eine Anmeldung ist erforderlich.
Rahmenprogramm Wiklands künstlerisches Schaffen ist Thema eines Vortrags, den Susanne Schnelzer am 4. April, 15 Uhr, im Forum Mitte hält. Einblicke in Wiklands Leben und Werke gibt Kathrin Buchmann am 18. April. Von 17 Uhr an begleitet sie Besucher durch die Ausstellung.