Moritz Bleibtreu, Florian David Fitz und Elyas M'Barek (von links) bevorzugen die Textilvariante der Fliege.
Gummizug!? Elisabeth Maier ruft das Wort geradezu empört aus. Die Inhaberin des alteingesessenen Münchner Fachgeschäftes Krawatten-Hoff reißt die Augen auf, schüttelt den Kopf. Als sie kurz darauf die Fassung wiederfindet, um die sie eben noch hat ringen müssen, sagt sie: "Wer Stil hat, der bindet die Fliege." In München wie im Rest der Republik. Völlig egal, ob man sie seit fünf Jahrzehnten trägt oder seit fünf Wochen.
Gebunden oder Gummizug: Es läuft gut für die Fliege, das lässt sich nun wirklich nicht wegdiskutieren. Sie kam freilich nicht Knall auf Fall von den Laufstegen der Welt nach München, polterte nicht wie ein ungebetener Partygast in die Szene. Doch peu à peu eroberte die Fliege - und das ist das eigentlich Erstaunliche - die Kleiderschränke der jungen Münchner. Mit einem Mal ist sie ein Accessoire, das Barkeeper zur Tätowierung tragen, in dem sich Bayern-Spieler David Alaba zu Sneakern ablichten lässt oder mit dem verliebte Romeos, wie in diesem Sommer jener im Open-Air-Kino im Westpark, vor ihrer Angebeteten auf die Knie fallen.
Die Orchesterkleidung sieht zwar elegant aus, ist aber oft zu heiß und zu eng. Und das, obwohl viele Stoffe längst atmungsaktiv und elastisch sind. Von Julia Rothhaas
"Kistenweise", sagt Maier, habe sie in diesem Jahr Fliegen verkauft. Manche ihrer Kunden sind erst 18, 20 Jahre alt. Sie schätzten wieder das Elegante, vor allem, wenn sie auf Feste eingeladen seien. Sie hält ein Foto hoch, ein Selfie von zwei Hochzeitgästen. Das junge Pärchen zeigt sein schönstes Zahnpastalächeln. Sie in einem altrosa Spaghettiträgerkleid, er trägt eine dazu farblich passende Seidenfliege.
Das Herrenmodehaus Hirmer verzeichnet ebenfalls eine gestiegene Nachfrage. "Der Anteil von Fliegen am Sortiment hat sich im Vergleich zu vor drei Jahren verdreifacht", sagt Einkäufer David Thomas. Die Fliege sei zweifelsohne wieder da, das gelte im Übrigen auch für die Hosenträger, die gerne dazu kombiniert würden. "Das sind die Einflüsse der Zwanziger- und Dreißigerjahre." Bekennende Liebhaber gab es zwar schon immer. So galant wie James Bond sahen allerdings die wenigsten mit Fliege aus. Im Gegenteil: Es ist noch gar nicht so lange her, da drohte Trägern vielmehr der Vergleich mit Heinz Riesenhuber, dem Alterspräsidenten des deutschen Bundestages.
Klar, bei "Black Tie Events", auf Filmpreisverleihungen oder Opernbällen, da glänzt sie wie gehabt in schwarzer Seide zum Smoking. Doch gerade ihre neueren Anhänger, die jungen Träger, haben der Fliege zu einem Imagewandel verholfen, sie haben ihr geholfen, sich von den strengen Regeln des Benimms zu emanzipieren, von spießig auf cool. Das belebt auch den Markt: Fliegen sind in allen Farben und Mustern zu haben, aus Jeansstoff und aus Jersey, ja selbst als Miniaturausgabe fürs Revers gibt es sie inzwischen.
Auch Philipp Fuß begegnet der Fliege mit Kreativität und einem Augenzwinkern, am liebsten kombiniert er sie zu einem bunten Hemd, das selbstredend ganz lässig aus der Hose heraus spitzen darf. Der 27 Jahre alte Münchner mochte die Fliege schon immer lieber als die Krawatte, die überall herumhänge. Vor vier Jahren baute er sein Faible sogar zu einem Unternehmen aus. "Herrfliege" heißt das Label, unter dem er gemeinsam mit Stefan Urbainczyk handgefertigte Holzfliegen anbietet, die Knoten sind aus Leder oder Stoff. Und wer sich auf der Internetseite der Münchner durch die Bilder klickt, dem dämmert, dass die Fliege ihre Steifheit irgendwo zwischen rotem Teppich und Abiturientenball abgelegt haben muss.
Die Modemacher Philipp Fuß (li.) und Stefan Urbainczyk fertigen die Fliegen aus Holz von Hand.
Karostoff zur Esche, Hahnentrittmuster zu Bambus? Geht heute alles. "Früher war die Fliege dem Smoking vorbehalten, da haben sich viele nicht an sie herangetraut", sagt Fuß. Was dann passierte, das führt auf die Straßen der Metropolen, nach London oder Tokio, wo vor einigen Jahren die ersten Hipster mit Fliege am Hals auf schelmischer Spitzbub machten. In Zeiten, da Eltern ein heimlich gestochenes Piercing und zerrissene Hosen allenfalls mit einem Achselzucken kommentieren, liegt die Rebellion offenbar gerade im Rückgriff auf Opa-Strickjacken und Einstecktücher. Wer auffallen will, wer sich abgrenzen mag, der zieht sich ordentlich an. So verrückt das klingen mag.
"Die Jugend ist auf der Suche nach Neuem, sie möchte individuell sein", erklärt Philipp Fuß das Phänomen. Außerdem liebten auch Männer Accessoires, doch anders als Frauen dürften sie weder Schmuck noch Handtaschen tragen, nichts. Fuß: "Was hat der Mann denn schon?" Er hatte die Krawatte, doch die ist manchem anscheinend nicht mehr gut genug. Nicht nur auf Hochzeiten kann man damit inzwischen zum Außenseiter geraten. Auch morgens in der U-Bahn, wenn die Münchner zur Arbeit zuckeln, sind weniger Schlipse zu zählen.
"Ich habe mein Geschäft heuer mit Fliegen für Hochzeiten gemacht", sagt Elisabeth Maier von Krawatten-Hoff. Auch wenn sie das eine Accessoire gar nicht so gern gegen das andere aufwiegen möchte. Schließlich seien sie mal eins gewesen. Damals, als Louise de La Vallière, eine Mätresse von Sonnenkönig Ludwig XIV., diesem eine seiner geliebten Krawatten, ein tuchartiges Stoffgebilde, abluchste und sie sich über dem freizügigen Dekolleté zu einer Schmetterlingsschleife band.
Vielleicht rührt daher der weibliche Touch, der Ruf des Possierlichen, der ihr bis heute anhaftet. Designerin Jelena Hofmann vom Münchner Damenlabel Holyghost, die ihre Models bereits vor einigen Saisons auf der Berliner Fashion Week mit schmalen Fliegen zu hochgeschlossenen weißen Blusen und weinroten Hüten über den Laufsteg schickte, versteht den Querbinder als Brücke zwischen den Geschlechtern, ein Accessoire, das Weiblichkeit und Stärke zugleich verkörpert. "Fliegen sind ein cooles Styling-Element", sagt sie, "das wir immer wieder gerne verwenden."
Laut einer neuen Umfrage besitzen die Deutschen mehr als fünf Milliarden Kleidungsstücke - und tragen nur einen Bruchteil. Von Friederike Zoe Grasshoff
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