Ein keltisch geprägter Tag auf der London Fashion Week, mit zwei bemerkenswerten Kollektionen der irischen Designer Simone Rocha und Robyn Lynch, nach einer anmutigen Show von Roksanda und David Komas scharfem Glamour. FashionNetwork berichtet in chronologischer Reihenfolge.
David Koma: Mode für Marlene Dietrich
Die Schauspielerin, Sängerin, Femme fatale und Ikonoklastin Marlene Dietrich hätte diese Herbst-/Winterkollektion 2023 sicherlich geschätzt. Ein bedeutender Anteil der Entwürfe war für Nachtclubs gedacht. Viele Fotografien von Marlene Dietrich sind schwarz-weiß, was sich auch in dieser Kollektion wiederspiegelt. Von den Eröffnungslooks – breitschultrige Boleros mit Trikots – über weiße Herrenshirts mit schwarzer Krawatte und fast unsichtbarem Tüllrock bis hin zu einem Mini-Cocktailkleid, das aus einem Herrenhemd gefertigt wurde, alles kombiniert mit oberschenkellangen Lederstiefeln.
Wie auch die bildschöne Schauspielerin kombinierte der Designer männliche und weibliche Elemente – von Hemdkleidern aus Smokinghemden und schwarzen Ledermänteln zu Boyfriend-Jacken und Motorradjacken für Bad Girls. Unter den Dutzenden Trikots, Mikro-Trägerkleidern und BHs gab es viel Haut zu sehen. Man braucht eine gute Figur, um Koma zu tragen, doch wer eine solche hat, wird in diesen Kleidern Männer zum Schwitzen bringen. Sündhafte Rottöne führten als charakteristisches Merkmal durch intelligente technische Meisterleistungen, wie mit Nagellack bemaltes Leder. Die innovative Lösung wurde für BH-Tops, Handschuhe, Armbänder und Cocktailkleider verwendet und vielerorts mit silbernen Metallrosetten dekoriert. Wie auch die Dietrich raucht die Koma-Frau, so defilierten drei Models mit Zigaretten. Doch keine echten, sondern aus Kunstharz, mit Silber überzogen. "Dietrich verkörperte die moderne Frau, sie war so aufgeschlossen und fortschrittlich", sagte Koma, dessen Show in einem brandneuen Bürogebäude mit Aussicht auf die Wolkenkratzer der City of London organisiert wurde. "Ich wollte ihr Gleichgewicht zwischen männlich und weiblich. Und die zentralen Aspekte ihres Glamours – roter Nagellack, Satin-Revers und rote Lippen, eine Mischung aus zwei revolutionären Epochen – den 30ern und den 60ern", schloss Koma.
Roksanda: Gutai-Grandezza im Claridge’s
Die Kollektion inspirierte sich an Atsuko Tanaka und war eine vorzügliche Mischung aus Roksandas subtilem Sinn für Volumen und dem abstrakten Expressionismus der japanischen Künstlerin der Nachkriegszeit. Sie umfasste nur 24 Looks, zur Eröffnung große Überwürfe mit den roten Kreisen, die man mit Tanakas frühem Schaffen in Verbindung bringt. Während die Models defilierten, vermischte sich Hades’ Stimme mit der orchestralen Komposition Preludium C-moll von Hania Rani und Dobrawa Czocher,. Roksanda drapierte hingebungsvoll luxuriöse Seidenstoffe, und schuf mit bunten Schichten innovative Trompe-l’oeil-Effekte. Mit Folien- und Taftstreifen spielte sie auf Tanakas legendären Electric Dress an, ein 50 Kilogramm schweres Kleid, das mit 200 Glühbirnen ausgestattet war und in dem sie an einer unvergessenen Vernissage teilnahm. Mehrere bemerkenswerte Seidenorganza-Kleider sahen aus, als wären sie in Form gedrückt und gehämmert worden – auch dies eine Anspielung auf Tanakas zentrales Thema: Der Konflikt zwischen Industrialisierung und menschlichen Bedürfnissen. Kreise, abstrakte expressionistische Schmierereien spielten auf die japanische Künstlerin an, wie auch die skulpturalen Chiffonkleider in Gelb und Pink, die mit Kreisen und Röhren aufrechterhalten wurden und die Tanakas späten Werken ähnelten. "Tanaka hat mich inspiriert, nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr Thema Technologie vs. Menschheit. Und die Tatsache, dass sie vom Gründer der Gutai-Bewegung verlassen wurde, nachdem sie ins Rampenlicht getreten war und ihn überschattet hatte. Aufgrunddessen wollte ich eine gewisse Intimität. Deshalb auch das Claridge’s", sagte die stets freundliche Roksanda, an der Seite von Hades. "Es fühlte sich wie eine organische Beziehung an. Ich trage einen Entwurf von Roksandas letzter Show. Es ist für mich eine große Ehre, hier zu stehen und ein Kunstwerk zu tragen und Teil dieser Show zu sein", sagte Arch Hades, die einen Canto ihres vierten Buchs Arcadia las. Wenn alles stimmt, und das war an der Show am Samstag in Mayfair definitiv der Fall, ist Roksanda eine Schöpferin wundervoller poetischer Mode, mit der nur wenige mithalten können.
Das irische Fremdenverkehrsamt sollte Robin Lynch ein Stipendium oder zumindest eine Medaille überreichen.
Kleeblätter, dreifarbige Fahnen, Kobolde und Aran-Pullover führten wie ein roter Faden durch diese Kollektion, die in einem grünen Finale gipfelte. Die gebürtige Dublinerin begann mit einer einfachen Suchanfrage auf Google: "Irisches T-Shirt" – die Resultate reichten von Guinness bis hin zu grünen Kleidern. Das hört sich vielleicht nach vielen Klischees an, doch ist Lynch eine der besten zeitgenössischen Streetwear-Designerinnen. Ihre Auslegung des Souvenir-Stils war subtil und originell. Sie fertigte Regenkleidung aus Strickwaren, Sweatshirts mit Comic Book-Kleeblättern, Rollkragen mit Aran-Muster und Trainingshosen an. Dabei setzte sie auf vier Grüntöne – Pistaziengrün, Salbei, Echse, Phtalo-Grün. Ironischerweise sind das alles Elemente ohne jeglichen Bezug zu Irland. Dazu der Soundtrack der brillanten Live-Harfenspielerin Róisín Berkeley, was eine durch und durch überzeugende Show und Kollektion ergab. Die junge Designerin begann ihre Show pünktlich, was in der Mode absolut undenkbar ist. Dadurch mussten mehrere Kritiker im Rentenalter die Show stehend bewundern. Sie nahmen es ihr jedoch nicht übel, so vorzüglich waren die Entwürfe und Ideen.
Simone Rocha: Irland in London
Rochas Stil kann manchmal etwas zu ätherisch und zuckersüß wirken – aber nicht so in dieser Saison. Sie vermischte allerlei rohe Elemente wie Stroh und stattete Tüll-Ballonkleider und Röcke mit Spitze und Plüschrosen aus. Sie zeigte sogar schwarze Lederbomberjacken und Mäntel, mit ihrer Lieblingsdekoration – perlenbesetzte Aufnäher. Dazu drei Looks aus zerknitterter goldener Seide und Blusen mit Hammelkäulenärmel, dazu Faltenröcke und Mantelkleider mit Pfiff. Auch Negligee- und Trägerkleider mit Spitzeneinsätzen, Rosetten und Satinbändern sorgten für rassige Momente. Dazu eine Live-Performance des Dubliner Volksmusikquartetts Lankum, mit einer dramatisch klingenden Bodhran-Trommel und einer Sängerin, die ein großartiges Klagelied an das Publikum richtete. "Ein verdrehtes Wiegenlied", kommentierte Simone in ihrem Begleitheft. Die Show wurde in der Central Hall Westminster organisiert, einem düsteren Auditorium, in dem die Models über die oberen Tribünen gingen. An der Show, die Rocha langanhaltenden Applaus einbrachte, wirkten auch die rothaarige Lily Cole und der irische Fotograf Perry Ogden mit. Eine einzigartige Designerin mit einem einzigartigen Stil, die eine absolut einzigartige Show zeigte.
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