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Der besondere Faschingsbrauch der Brezenhurre konnte nach coronabedingter Pause wieder stattfinden. In Ziemetshausen freuten sich Hunderte Kinder und Zuschauer.
"Bei uns wird das Rathaus am Weiberdonnerstag nicht von den Frauen gestürmt, sondern von den Kindern", erklärte Ziemetshausens Bürgermeister um 12 Uhr dem Publikum bei strahlendem Sonnenschein vor der Rathaustüre. Es war wieder Brezenhurre - ein uralter Faschingsbrauch in Ziemetshausen, der auf eine Armenspeisung zurückgeht. Zahlreiche Kinder hatten sich vor dem Rathaus eingefunden, zusammen mit Eltern, Großeltern, Lehrern und Lehrerinnen sowie Erzieherinnen. Die meisten waren mit bunten, selbst gebastelten Kopfbedeckungen maskiert. Da gab es kleine Königinnen und Könige, Sheriffs, Fliegen mit großen Augen und anderes Fantasievolles mehr.
Für Bürgermeister Wetzel war es eine Premiere, denn in den vergangenen beiden Jahren konnte die Brezenhurre nicht wie gewohnt stattfinden aufgrund der damals geltenden Hygienemaßnahmen. "Wir haben damals Gutscheine verteilt vom Bäcker und vom Metzger, damit sich die Kinder trotzdem Brezen und Semmeln abholen konnten", erklärt Janik Greiner von der Marktverwaltung im Gespräch mit der Redaktion. Er ist als Lola Grün verkleidet mit Mikrofon und grüner Langhaarperücke. Etliche Verwaltungskolleginnen und Gemeinderäte und Gemeinderätinnen sind ebenfalls in Maskerade erschienen. Bürgermeister Wetzel trägt Hemd, Sakko und Krawatte, die bis 12 Uhr auch noch ordentlich unter dem Kragen sitzt. Nach 12 Uhr allerdings ist der Schlips um einiges kürzer- abgeschnitten - so wie es an Weiberfasching vielerorts üblich ist.
Auf einer langen Reihe von Biertischen, die sich vom Hinter- zum Vordereingang des Rathauses zieht, sind in Kisten frische Brezen und Rote Würste bereitgestellt - eine Speisung, die für rund 300 Kinder ausreicht. Dieser Brauch ist im gesamten deutschen Sprachraum einzigartig in Ziemetshausen, "vielleicht auch auf der ganzen Welt", sagt er. Seit dem Jahr 1572 ist die Verteilung von Würsten und Brezen an die Kinder jährlich in Ziemetshausen am Fasnachtsdonnerstag Brauch. Zwischen 1805 und 1930 ruhte er allerdings und wurde erst später wieder aufgegriffen.
Nach der Ansprache des Bürgermeisters gab es noch Einlagen von Grundschul- und Kindergartenkindern. Der gebetete Englische Gruß mit Pfarrer Bernhard Endres und Pater Gerhard Löffler durfte auch nicht fehlen. Dann konnten die ersten Kinder von hinten durchs Rathaus laufen und Brezen und Würste in Empfang nehmen. Die Kleinsten sind immer zuerst dran, wie der Bürgermeister den Ablauf erklärte. Mitglieder der Verwaltung und des Marktgemeinderats helfen den maskierten Anstürmenden, die Brotzeit in die mitgebrachten Tüten zu füllen. Vor dem Rathaushintereingang bildete sich eine lange Schlange, während vorn bereits zufriedene kleine Mäschkerle an ihrer Breze knabberten und vom Würstchen abbissen.
Unter die Kinder mischten sich aber auch noch lustige Gesellen, sieben an der Zahl, bewaffnet mit einem langen Holzspieß und einem voranschreitenden jungen "Hasen". Auch sie stürmten durchs Rathaus und eroberten sich eine besonders große Breze und eine Extrawurst. Sie gehören zum Heimatverein und weil es dort einen Sieben-Schwaben-Stammtisch gibt, kam irgendwann einmal die Idee auf, dass man die Märchengeschichte doch bei der Brezenhurre szenisch darstellen könnte. Uralt ist dieser Brauch also nicht. Heimatvereinsvorsitzender Joachmim Böck, der auch verkleidet als Zuschauer an der Brezenhurre teilnimmt, kann sich nicht mehr genau ans Entstehungsjahr des Schauspiels erinnern.
Mehr und mehr sind auf einmal rhythmische Rufe der Kinder zu hören: "Fenster auf, Brezen raus!" Die Sprechchöre werden immer lauter, doch immer noch strömen Kinder aus dem Vordereingang des Rathauses. Als endlich alle mit einer Brotzeit versorgt sind, gehen die Rathausfenster im Erdgeschoss auf und die Gemeinderäte und Verwaltungsmitglieder werfen die übrig gebliebenen Brezen unters Volk. Am Rathauseingang beteiligen sich Bürgermeister Wetzel und die Geistlichkeit an der Aktion. Die Kinder versuchen mit hochgereckte Händen Brezen oder auch Würste aufzufangen.
Die Bezeichnung der Brezenhurre leitet sich, so vermutet man, vom mittelhochdeutschen „hurren“ ab. Dies bedeutet in etwa so viel wie hüpfen, sich schnell bewegen (vergleiche Englisch to hurry). Eine andere Möglichkeit könnte sein, dass „hurre“ eine schwäbische Variante von „Hurra“ sein könnte, was die Freude über die erhaltenen Lebensmittel ausdrückt. Freude herrscht auch bei einer Mutter neben der Reporterin, deren Kind eine Wurst gefangen hat. Sie kommentiert zufrieden: "So, das Mittagessen ist gesichert", ganz so, wie der alte Brauch es einmal bezweckt hatte.
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