Opernregisseur Barrie Kosky vor dem Richard-Wagner-Denkmal in Tiergarten.
Opernregisseur Barrie Kosky erklärt das enge Verhältnis zu seiner jüdischen Großmutter Magda und zu Miss Piggy.
Berlin. Der in Melbourne geborene Opernregisseur Barrie Kosky stand zehn Jahre lang der Komischen Oper als Intendant vor. Er hat dem Berliner Opernhaus, ja der Opernlandschaft überhaupt zu neuem Glanz verholfen. Sein Buch „Und Vorhang auf, hallo!: Ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co.“ ist eine Art vertiefende Bilanz seiner zehn Jahre als Regie-Intendant und zugleich eine lesenswerte Biografie. Was man nicht von allen Künstlerbiografien, die sich oft nur verklärend an die Fangemeinde wenden, behaupten kann. Barrie Kosky breitet hingegen wieder einmal sein Innerstes aus. Der Leser kann sein Vergnügen daran haben und erfährt zugleich vieles aus der weiten Welt der Oper.
Es ist empfehlenswert, das Buch nicht von vorne bis zur letzten Seite zu lesen, sondern bei „Miss Piggy“ auf Seite 125 zu beginnen. Es geht quasi um eine Quelle seines späteren Schaffens. Ein Foto zeigt Startänzer Rudolf Nurejew halb nackt mit Miss Piggy im Dampfbad. Das Bild stammt aus Folge 213 der „Muppet Show“ von 1978. Ausführlich beschreibt Barrie Kosky, dass er wie die meisten Kinder in den 1970er-Jahren viel Fernsehen geschaut hat. Die Spätfolgen sind jetzt auf der Opernbühne zu verfolgen. Denn die „Muppet Show“ hat ihn in verschiedener Hinsicht geprägt. Und wenn er auf die Special Guests wie Barbra Streisand, Rudolf Nurejew oder Liza Minnelli hinweist, ahnt man, dass hier seine Sehnsucht nach der großen Glamourshow geboren wurde.
Aber Kosky ist ein weltweit gefragter Opernregisseur, der von Berufs wegen alle Quellen, Stücke und sich selbst hinterfragen muss. Auch die Muppets, die demnach so ganz anders waren. „Eine dreiminütige Tanznummer, dann eine zweiminütige Comedy-Einlage, gefolgt von einem Song mit völlig anderer Musik, als ich sie kannte. Keine durchgehende Handlung, kein richtiges Drama wie in der Oper oder im Schauspiel, sondern eine Reihe von Shownummern.“ Das Varieté sei für ihn vollkommenes Neuland gewesen, schreibt Kosky. „Zu Hause vor unserem Fernseher fand ich durch die Muppets einen Zugang zu dieser fantastischen Gattung.“
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Und auf einen weiteren Aspekt der kindlichen Prägung verweist der heute in Berlin lebende Regisseur. Er sei von der Diversität der Show, die sich insbesondere in der Unterschiedlichkeit der Charaktere zeigte, angetan gewesen. „Ohne den zuschauenden Kindern zu predigen, dass jedes Wesen einzigartig ist und dass wir nur zusammen Großes – wie eine Show – zustande bringen können, haben die Muppets genau das auf eine sehr lustige, bezaubernde Art gezeigt und dargestellt: Du kannst ein eitles Schwein, ein überforderter Frosch oder ein komischer Bär sein, und hier ist ein Platz für dich.“
Der Gastauftritt des halbnackten Nurejew bekommt eine lange Erklärung. „Natürlich schwang da die Vorstellung mit, wie Rudy in New York in den Saunen abhing, um Sex zu haben“, schreibt Kosky. „Es war ein offenes Geheimnis, dass er eine Sexmaschine war. Und nun taucht dieser schwule, sexliebende Mann mit seinem Astralkörper in einer Kindersendung auf, wo er von einer fabelhaften Schweine-Dragqueen auf direkteste Art und Weise sexuell bedrängt wird. Miss Piggy versucht, den schwulen Ballettgott zu verführen, ihm das Handtuch vom Leib zu reißen und mit ihm Sex zu haben – in einer Kindersendung!“ Erst später, so Kosky, wurden ihm die Andeutungen bewusst.
Natürlich betont der Regisseur, bereits als Teenager auf Kafka gestoßen zu sein. Aber das erwartet man auch von einem empfindsamen Künstler. In seinem vielschichtigen Buch geht es um Australien und Europa, Queerness und Judentum, Popkultur und Opernwerke. Weggefährten werden vorgestellt und Opernfiguren analysiert. An der Komischen Oper hat Kosky vergessene Operetten von jüdischen Komponisten auf die Bühne gebracht und mit Schönbergs „Moses und Aron“ Maßstäbe gesetzt. Der Antisemitismus gerade auch im Werk von Richard Wagner hat ihn lange beschäftigt. „Hans Sachs“ ist ein Kapitel über seine gefeierte Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth überschrieben. Bayreuth war bis dahin „No-Go-Area!“ für ihn, wie Kosky schreibt. Das Kapitel klingt deutlich versöhnlicher.
„Meine Wagner-Reise begann mit meiner Großmutter, die mich im Alter von fünfzehn Jahren zu einer konzertanten Aufführung von ,Tristan und Isolde’ mitnahm. Wie sie selbst,verliebte ich mich sofort in das Werk.“ Und da ist sie wieder, die Großmutter. Der Leser sollte nach dem Kapitel „Miss Piggy“ sofort zum Anfang des Buches zurückkehren. In Interviews hat Kosky immer wieder von seiner jüdischen Großmutter Magda berichtet. Es waren wundersame, aber ehrlich gesagt kaum nachvollziehbare Geschichten. In der Biografie erzählt Kosky nun die Geschichte seiner Familie ausführlicher. Insbesondere die ungarische Großmutter Magda Löwy, die großbürgerlich behütet in Budapest aufwuchs, erhält eine Liebeserklärung der besonderen Art. Kosky vergleicht seine Großmutter mit zwei großen Frauenfiguren aus ihren Lieblingsoperetten. Wer die Charakterisierungen liest, sollte eine gewisse Werkkenntnis von Kálmáns „Gräfin Mariza“ und Lehárs „Lustige Witwe“, die eigentlich Hanna Glawari heißt, haben.
„Mein Urgroßvater war im Förderkreis der Budapester Staatsoper und hatte eine eigene Familienloge“, schreibt Kosky. „Von Kindesalter an besuchte meine Großmutter einmal pro Woche gemeinsam mit ihren Eltern eine Opernvorstellung im Budapester Opernhaus, und einmal im Monat fuhr sie sogar mit ihrem Vater nach Wien in die Staatsoper – bis sie schließlich meinen Großvater kennenlernte und mit ihm nach Australien auswanderte.“ Dort wurde Kosky am 18. Februar 1967 geboren. Seine Großmutter, erfährt man, konnte sich in Australien nicht einleben, zumal der Großvater früh verstarb. Aber sie ging weiter in die Oper.
„Im Alter von sieben Jahren wurde ich zu einer Mischung aus Lehrling, Prinzregent und Ersatzehemann, in einem Kinderanzug mit Krawatte. Sie selbst zog für die Opernbesuche lange Abendkleider an, mit einer Pelzstola, aufwendigem Schmuck und hochgestecktem Haar. Meine Großmutter besaß aufgrund des Pelzhandels meines Großvaters, seiner Brüder und meines Vaters eine riesige Kollektion an Pelzmänteln und Stolen aus Robben, Füchsen und Nerzen.“ Sicherlich wird man künftig Koskys glamouröse Inszenierungen daraufhin prüfen, inwieweit die Großmutter eine Rolle spielt.
Der Epilog schließt mit Claudio Monteverdis „L’Orfeo“. Das war die erste Oper, die der 19-jährige Kosky mit seiner neu gegründeten Opern-Company an der Universität Melbourne inszeniert hatte. Für ihn steckt die gesamte DNA der westlichen Oper darin. „Oper bedeutet für viele Menschen sehr Unterschiedliches“, schreibt Kosky. Und doch sehen und hören wir alle Oper wie das antike Publikum, das sich im Dionysostheater in Athen den außergewöhnlichen Theaterritualen unterzog, in der vergeblichen Hoffnung, einen flüchtigen Blick in unser Innerstes zu erhaschen.“