Es wäre naiv, zu glauben, die Herausforderer von Donald Trump hätten sich nicht ganz genau überlegt, respektive von Beratern überlegen lassen, wie sie sich während des Wahlkampfes präsentieren würden und was ihre Kleider aussagen. Gerade in Amerika zählt das Auftreten und das Aussehen viel; die neuen Medien tun ihr Übriges.
Präsidentschaftsanwärter Joe Biden tritt sehr klassisch auf, Businesskleidung samt Krawatte, fertig. Vizepräsidentin Kamala Harris trägt auch meistens einen Hosenanzug, gerne in Kombination in Turnschuhen. Zum ersten offiziellen Event nach dem demokratischen Wahlsieg wählte sie einen Hosenanzug in Weiss – das Tenue der amerikanischen Suffragetten.
Die dritte im Bunde ist Jill Biden, die zukünftige First Lady. Sie trägt Kleider, die sich nicht mehr abheben könnten von den scharf geschnittenen Anzügen ihre Mannes und der ersten Vizepräsidentin der amerikanischen Staaten: Weich fallend, sehr feminin, oft in Pastelltönen, gerne mit Blumen.
Ein Beitrag geteilt von Dr. Jill Biden (@drbiden) am Aug 26, 2020 um 4:04 PDT
Pastelltöne haben eine lange Tradition als abgeschwächte Variante der starken, vollen Töne. Hellblau und Rosa teilte man noch bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts den Kindern zu. Das «kleine Rot» als helle Form des königlichen Karmins war dabei den Jungen zugedacht, das «kleine Blau», abgeleitet vom Mantel der Heiligen Jungfrau Maria, den Mädchen.
Fast schon mädchenhaft verspielt war der asymmetrische Saum des ärmellosen Blumenkleids beim ersten offiziellen Auftritt nach dem Sieg von Joe Biden und Kamala Harris; Frühling statt Herbst. Gut möglich, dass das Wahlkampfteam dem Dreiklang aus Biden-Biden-Harris noch eine weitere Facette hinzufügen wollte: weich, feminin, und damit vertrauenerweckend für eine konservative Wählerschaft.
Dabei sollte man sich aber von den braven Outfits der zukünftigen First Lady mit dem Doktortitel nicht täuschen lassen: Die Sonderschullehrerin wird die erste Frau in dieser Position sein, die ihren Beruf nicht aufgibt. Gut möglich also, dass nicht nur die Farbe Weiss eine andere Bedeutung erhält als die, eine unschuldige Braut zu kleiden, sondern auch die Pastelltöne. Zudem wird so deutlich gemacht, dass Feminismus heute ganz und gar nicht mehr bedeutet, sich der Regeln des männlichen Powerdressings zu beugen.
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