Still und leise hat am Gendarmenmarkt ein spektakuläres Doppel-Restaurant eröffnet. Wir waren auf der Fine-Dining-Etage.
Es gibt momentan in Berlin nur zwei Wege, ein Restaurant zu eröffnen. Entweder mit Trara, vielen Vorabinformationen an die Presse und Einladungen an alle, die mal was über Essen geschrieben haben. Oder einfach aufmachen und schauen, was passiert. Diese Methode, auch „Soft Opening“ genannt, ist in einer bestimmten Szene überaus erfolgreich, Außenseiter gehen damit aber ein Risiko ein.
Womit wir beim „Victor/Victoria“ am Gendarmenmarkt wären, das nach gut einjähriger Corona-Verzögerung im vergangenen Jahr einfach so aufgemacht hat – als Bistro. Das ehrgeizige Restaurant obendrüber ging erst im Januar an den Start, und es verdient schon deshalb große Aufmerksamkeit, weil Stephan Krogmann die Küche verantwortet. Der war Sous-Chef in mehreren deutschen Drei-Sterne-Restaurants und hat im Gutshaus Stolpe 2020 den Stern verteidigt.
Und so legt er dann auch los. Es gibt vorerst nur ein maximal sieben Gänge langes Menü für 185 Euro, das auf drei gekürzt werden kann (95 Euro). Dieses Menü verrät schon viel: Die Gänge sind jeweils um ein zentrales Produkt, Fisch oder Fleisch, herum gebaut, wie es der modernen französisch inspirierten Klassik entspricht. Das wirkt in den Berliner Gemüsegewittern ziemlich retro, ist aber kein Qualitätsurteil. Reto Brändli im Adlon kocht ganz ähnlich.
Erstaunlich für mich war, dass beide kulinarisch auf Augenhöhe liegen. Beide können anscheinend alles, und so wartet auch Krogmann mit einer Fülle von küchentechnischen Dreifachsprüngen auf, die mich immer ein wenig skeptisch machen: Geht’s nicht auch einfacher? Aber hol’s der Teufel: Das hat alles enorme Geschmackstiefe, bietet reichlich Überraschungen, sieht toll aus, macht also mithin einfach Freude.
Charlottenstr. 59, Mitte, Fine Dining Di-Sa 18.30 bis 23 Uhr, Bistro So-Do 8-23, Fr/Sa 8-2 Uhr.- victorvictoriaberlin.com
Die außerordentliche Kunstfertigkeit der Küche zeigt sich schon mit einem zweistöckigen Dashi-Pilzextrakt-Tuffelchen zum Aperitif. Es schmeckt intensiv und deutet an, dass hier gezielt nach Umami gesucht wird, allerdings ohne nervige Penetranz.
Die Aromenkombinationen sind gelassen zusammengestellt, etwa beim herrlich süffigen Black Cod, einem straffen Filet vom Kohlenfisch, gedämpft mit Pastis, auf Estragon-Beurre-blanc mit etwas Lachskaviar oder bei der dicken, saftigen Jakobsmuschel, die auf Holzkohle gegrillt und durch Scheiben von roher Muschel ergänzt wird – dazu gegrillter Lauch, Lauchöl und eine Schnittlauchemulsion, recht süßlich eingestellt, aber absolut stimmig.
Zur gebeizten Makrele gibt es Störkaviar, Miso, Makrelen-Dashi und einen Hauch von Bergamotte. Das Milchkalbsbries, wunderbar zart, liegt in einer mit Kalbszunge angereicherten Trüffelsauce, obenauf ergänzen sich gehobelte schwarze Trüffel und ein krustiges kleines Backwerk mit Boule-de-Lille-Käse aufs Überraschendste.
Vergleichsweise am schwächsten fanden wir das Reh, ein Stück gebratenen Rücken, das etwas trocken wirkte und sich unter einer deftig scharfen Haube mit Kampot-Pfeffer nicht richtig entfalten konnte; fünf an sich perfekt gemachte Beigaben aus Knollensellerie und Haselnüssen lenkten auch ein wenig vom Hauptthema ab. Aber alles vereinte eine großartige Sauce Rouennaise. Saucenfans: hierher.
Besonderen Ehrgeiz, sofern das hier geht, zeigt die Patisserie-Abteilung, die mit einem Türmchen aus karamellisierter Sahne, Blutorangeneis, knusprigen Roggenfächern und geschmortem Römersalat ebenso brillierte wie mit einem weißen Schokoladenschaum mit Fenchelpollen, Maracuja und knusprigem Amaranth. Fabelhafte Haselnusspralinen mit schwarzen Trüffeln! Ein erstaunlicher Schnellstart.
Eine richtige Weinkarte gab es noch nicht, nur eine wenig beeindruckende provisorische Liste. In der Weinbegleitung (55/105 Euro) zeigte der Sommelier aber ein weites Spektrum hochwertiger Weine von Markus Schneiders Südafrikanern über Gereiftes von J. J. Prüm bis zum klassischen Mercurey, sehr gut abgestimmt. Der Service findet den rechten Ton, wirkt aber im Anzug mit Krawatte und Handschuhen ein wenig überzeremoniell – das wird bestimmt noch ein wenig berlinisiert werden.
Skeptiker finden übrigens im Erdgeschoss ein vielversprechendes Bistro für jeden Tag – bekocht ebenfalls von Stephan Krogmann.
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